Kindermund

Bald ist es soweit und ich werde wieder in das Berufsleben einsteigen, wenigstens ein bisschen. Ich freu' mich schon darauf, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen über das Leben zu philosophieren.

Eigentlich habe immer gedacht, dass ich eine ganz gute Philosophin bin. In Düsseldorf habe ich das Fach studiert und habe dort zwar nicht zu den langhaarigen Alternativen im schwarzen Mantel gehört (obwohl ich lange Haare hatte), auch bin ich niemand, der immer und überall Nietzsche oder Kant zitiert (es gibt ja Menschen, die meinen, ihr ganzes philosophisches Wissen über einen ausschütten zu müssen, wenn sie hören, dass „man vom Fach ist"), dennoch denke ich, dass ich andere dazu bringen kann, über Probleme philosophisch nachzudenken. Seitdem ich nun Kinder habe und seitdem Robin komplexer denken und sprechen kann, weiß ich, dass ich nichts weiß (Sokrates brauchte für diese Erkenntnis eine längere Zeit und ging damit in die Philosophiebücher ein).

Das Staunen des Kindes ist der Anfang aller Philosophie. Und Staunen mündet unweigerlich in der von Eltern über kurz oder lang gefürchteten Frage WARUM? Dieses Fragewort begleitet und verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Insgeheim frage ich mich: Muss ich den Zwillingen alle die Dinge noch einmal erklären (und vor allem: Müssen die Erklärungen auch immer die selben sein? Ich glaube, dass bekomme ich nicht mehr hin.)

Die berüchtigte Warum-Frage kann einem überall und zu jeder Zeit erwischen. Meistens handelt es sich um Dinge, die sich durch physikalische, biologische, geschichtliche, ... Zusammenhänge erklären lassen: Warum fließt das Wasser in der Badewanne ab? Warum müssen wir schlafen? Warum wird ein neues Haus gebaut? ...

Manchmal kommen da aber anders geartet Warum-Fragen. So befanden Robin und ich uns vor einiger Zeit im Badezimmer und widmeten uns nach dem Baden seinen Haaren inklusive Kopfhaut. Gerade hatte ich von abgestorbenen Hautzellen (Schuppen) gesprochen, erwischte es mich: Mama, ist der Heilige Geist auch abgestorben? Kurze Verwirrung meinerseits:Nein, Robin, der ist im Himmel. Robin: Warum? Tja, wie erklärt man einem Dreieinhalbjährigen nun den Heiligen Geist? Wie erkläre ich diesen Begriff überhaupt? In der Not tun dann Eltern immer Folgendes, entweder sie sagen: Da bist du noch zu klein zu. oder – und diese Variante bevorzuge ich – sie lenken ab. Welche Geschichte wollen wir gleich lesen? Aber auch beim Geschichtenvorlesen kann man in die Warum-Falle tappen. Soll es eine Gutenachtgeschichte aus der Bibel geben, atme ich auf, wenn Robin etwas aus dem Alten Testament hören will. Hier gibt es Gut und Böse, Gott bestimmt und alles ist irgendwie an seinem richtigen Platz und erklärbar (wenigstens auf kindlicher Ebene). Die Gottesdienste im Kindergarten haben Robin aber nun „scharf" auf diesen Jesus gemacht. Mama, lies mal vom Jesus. - Oh, nein! Ständig habe ich Angst, dass Robin fragt: Warum kann Jesus auf dem Wasser gehen? Warum macht er den Mann gesund? Warum kann er aus wenig Essen viel machen? Dinge, die ich ehrlich gesagt, mir selbst nur schwer erklären kann. Aber ich habe festgestellt, dass es Robin um ganz andere Aspekte in den Geschichten geht. Dass Jesus übers Wasser gehen kann, ist doch klar, er ist schließlich Jesus. Wichtig ist die Frage, warum er es macht. Um Petrus zu helfen, ihm Mut zu machen, ihm zu zeigen, wie stark er ist. Robin hat noch nie danach gefragt, wie Jesus in seinen Heilungsgeschichten die Menschen gesund macht. Die Kraft, die er besitzt, ist für Robin einfach vorhanden und nicht anzuzweifeln. Er fragt danach, warum er diese Kraft für andere einsetzt. Auch den „Zaubertrick" hinter der Vervielfältigung der zwei Fische und fünf Brote zweifelt Robin nicht an. Seine Warum-Frage zielt darauf ab, warum Jesus all diese Menschen speist.

Das Staunen des Kindes, der kindliche Blick verleiht mir eine ganz neue Perspektive auf altbekannte Geschichten und vermeintlich schon verstandene Zusammenhänge. Meine möglichst kindgerechten Erklärungsversuche lassen das ein oder andere Mal mir selbst „ein Licht aufgehen". Dies eröffnet mir die Möglichkeit einmal wieder ganz neu über meinen Glauben zu philosophieren. Ich wünsche jedem von Ihnen solch neue Zugangsmöglichkeiten. (Gerne leihen wir auch mal Kinder aus, schließlich muss man sich vom vielen WARUM auch mal erholen).

Ihre/eure Sylvia Gill